„Weil ich will, nicht weil ich muss“ – Was Pferde über Berührung wirklich denken

In dieser Studie untersuchten Forscherinnen und Forscher, wie sich die Möglichkeit zur freien Wahl von Körperkontakt auf das Verhalten und die physiologischen Reaktionen von Pferden auswirkt. Der Fokus liegt dabei auf typischen Interaktionen zwischen Mensch und Pferd – etwa in der pferdegestützten Therapie oder im Freizeitreiten.

Zehn gut ausgebildete Therapiepferde wurden in zwei verschiedenen Settings mit menschlichen Versuchspersonen (49 Personen, teils mit, teils ohne Pferdeerfahrung) beobachtet. In der ersten Variante, „forced touch“ (erzwungene Berührung), war das Pferd angebunden, und die Versuchsperson musste es in vorgegebenen Abständen berühren. In der zweiten Variante, „free-choice touch“ (freie Berührung), durfte das Pferd sich frei bewegen und entscheiden, ob es von der Person berührt werden wollte. Die Kontaktaufnahme fand nur statt, wenn das Pferd von sich aus Nähe suchte.

Das Ergebnis: Pferde reagierten in der freien Variante insgesamt deutlich entspannter. In der erzwungenen Situation zeigten sie signifikant mehr stressbezogene Verhaltensweisen, wie etwa Kopfwerfen, Schweifschlagen oder angespannte Ohrstellungen. In der freien Interaktion hielten sie den Kopf häufiger tief, waren insgesamt ruhiger und suchten selbstständig Nähe zum Menschen – ein Hinweis auf gesteigertes Vertrauen und Wohlbefinden.

Neben der Freiwilligkeit untersuchte die Studie auch, ob die Art der Berührung (Streicheln, Kratzen oder Klopfen) oder die berührte Körperstelle (Hals, Schulter oder Kruppe) eine Rolle spielte. Das überraschende Ergebnis: Weder Art noch Ort der Berührung hatten einen signifikanten Einfluss auf das Verhalten oder die physiologischen Messwerte der Pferde. Das bedeutet, dass auch als „neutral“ geltende Zonen wie der Hals Stress auslösen können, wenn das Pferd keine Kontrolle über die Situation hat – und umgekehrt auch weniger typische Körperstellen akzeptiert werden, wenn die Interaktion freiwillig erfolgt.

Auch physiologisch zeigte sich ein interessantes Bild: Die Herzfrequenz der Pferde war in der freien Interaktion leicht erhöht, was vermutlich auf erhöhte Aufmerksamkeit oder positive Erregung hinweist – nicht jedoch auf Stress. Die Herzfrequenzvariabilität (HRV) war unabhängig von der Interaktionsform, zeigte aber Unterschiede je nach Erfahrung der Person: Bei Interaktionen mit erfahrenen Personen war die HRV der Pferde leicht verringert, was auf mehr Bewegungsaktivität oder Konzentration hinweisen könnte.

Für die pferdegestützte Arbeit (aber auch für den Freizeit- oder Sportbereich) bedeutet das:

  • Achte auf feine Signale: Ein tiefer Kopf, langsames Blinzeln oder Annäherung sagen mehr als jedes Schweifwedeln
  • Lass dein Pferd frei entscheiden, wann es Nähe möchte
  • Vermeide es, Berührung aufzuzwingen
  • Gib ihm Raum zum Weggehen – nicht als Ablehnung, sondern als Ausdruck von Selbstbestimmung

Diese Studie liefert einen wichtigen Beitrag für mehr Empathie, Achtsamkeit und Respekt im Umgang mit unseren Pferden – nicht nur im Therapieeinsatz, sondern überall dort, wo Mensch und Pferd sich begegnen.

Vielleicht ist die wichtigste Frage nicht:

„Darf ich dich anfassen?“
Sondern:
„Möchtest du gerade bei mir sein?“


https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0168159125001960#sec0010

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