Hinter der Senkrechten – und trotzdem Bestnoten?

Kopf-Hals-Position in der Dressur: Was eine Studie über Abreiten und Prüfung verrät

Die Kopf-Hals-Position (HNP – head–neck position) ist nicht nur ein optisches Detail in der Dressur – sie beeinflusst direkt das Wohlbefinden und Verhalten der Pferde. Laut FEI-Regelwerk soll die Nasenlinie leicht vor der Senkrechten sein. In der Realität sieht es jedoch oft anders aus, besonders auf dem Abreiteplatz.

Eine aktuelle wissenschaftliche Studie hat 49 Pferd-Reiter-Paare im Grand Prix Special (CDIO5*) beim CHIO Aachen 2018 und 2019 beobachtet. Ziel war es herauszufinden, wie sich HNP und Konfliktverhalten zwischen Aufwärmphase und Prüfung unterscheiden – und wie das mit den Wertnoten der Richter zusammenhängt.


So lief die Untersuchung ab

Die Forscher:innen filmten alle verfügbaren Paare im Abreitebereich und in der Prüfung. Im Warm-up durften die Reiter:innen Gangarten und Lektionen frei wählen. In der Prüfung mussten sie den festgelegten Grand Prix Special zeigen.

Insgesamt wurden über 6.500 Einzelbilder ausgewertet, um exakt zu messen, wie weit die Nasenlinie vor oder hinter der Senkrechten lag. Zusätzlich wurden typische Anzeichen von Konfliktverhalten gezählt, z. B. ungewöhnliche Maulbewegungen, Schweifschlagen oder Ohrenanlegen. Die Wertnoten der Richter in der Prüfung flossen ebenfalls in die Analyse ein.


Die wichtigsten Ergebnisse

1. Hinter der Senkrechten im Abreiten
Im Warm-up war die Nasenlinie im Schnitt deutlich weiter hinter der Senkrechten (−11°) als in der Prüfung (−5°). Das widerspricht den FEI-Regeln, nach denen das Pferd mit der Stirnlinie leicht vor der Senkrechten gehen soll.

2. Mehr Konfliktverhalten beim Aufwärmen
Pferde zeigten im Abreiten häufiger ungewöhnliche Maulbewegungen und insgesamt mehr Anzeichen von Konfliktverhalten als in der Prüfung. Das deutet darauf hin, dass die im Warm-up gerittene HNP für die Pferde unangenehmer ist.

3. Richterbewertungen und HNP
Überraschend: Höhere Wertnoten in der Prüfung korrelierten mit einer Nasenlinie, die stärker hinter der Senkrechten war. Das heißt: Eine Haltung, die laut Regelwerk nicht erwünscht ist und mit mehr Konfliktverhalten einhergeht, wurde von den Richtern eher belohnt als abgewertet.


Was heißt das für den Tierschutz?

Die Studie macht deutlich, dass es eine Lücke zwischen den FEI-Vorgaben und der tatsächlichen Praxis gibt. Wenn im Abreiten Positionen geritten werden, die zu mehr Konfliktverhalten führen, und diese Haltungen im Wettkampf sogar positiv bewertet werden, entsteht ein deutlicher Zielkonflikt zwischen sportlichem Erfolg und Pferdewohl.

Für Reiter:innen, Trainer:innen und Richter:innen bedeutet das:

  • Die Einhaltung der Regel „Stirnlinie leicht vor der Senkrechten“ muss konsequenter kontrolliert werden.
  • Konfliktverhalten sollte als Warnsignal für Unwohlsein ernst genommen werden.
  • Richter müssen geschult werden, HNP und Verhalten objektiver zu bewerten – und tierschutzgerechtes Reiten zu honorieren.

Take-away: Kopf-Hals-Positionen sind mehr als ein Schönheitsdetail – sie hängen direkt mit dem Verhalten und möglichen Stressanzeichen der Pferde zusammen. Wer im Training und auf dem Turnier auf eine offene, vorwärts gerichtete Haltung achtet, tut nicht nur dem Pferd, sondern auch der Fairness im Sport einen Gefallen.


https://www.researchgate.net/publication/378293288_Comparison_of_head-neck_positions_and_conflict_behaviour_in_ridden_elite_dressage_horses_between_warm-up_and_competition

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